Auf Einladung des Vorsitzenden des Regionalen Komitees der Beschäftigten im Gesundheitswesen der Republik Belarus, Dr. Alexander Shamal und des Rektors der Staatlichen Belarussischen Medizinischen Universität Minsk, Prof. Dr. Anatol Sikorski, reisten sieben Mitglieder des Vereins für eine Woche nach Weißrussland.
Nach der herzlichen Begrüßung am Flughafen durch Dr. Shamal und dem Vize-Rektor der Medizinischen Universität Minsk, zuständig für ausländische Beziehungen, Dr. Vasili Roudenok, begannen am folgenden Tag die offenen und zielorientierten Gespräche in der Medizinischen Universität. Prof. Sikorski betonte ausdrücklich die seit 1993 bestehende fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Universität und dem Runden Tisch. Kamen zunächst Ärztinnen und Ärzte aus dem Minsker Gebiet zu einem Praktikum in das Evangelische Krankenhaus Holzminden (insgesamt 25 bis zum Jahr 2006), begannen 2007 die „Sommerpraktika“ für Studierende. Bis 2016 nahmen bereits 35 Medizinstudentinnen und -studenten an den zweimonatigen Praktika in Holzminden teil. Rektor Sikorski und der Dekan Volotovsky betonten die Bedeutung des akademischen und wissenschaftlichen Austausches und zeigten sich dem Runden Tisch gegenüber dankbar, dem ärztlichen Nachwuchs eben diese Möglichkeit des Auslandsaufenthaltes einzuräumen. Die Belarussische Seite äußerte die Hoffnung, dass auf Grund der in den letzten Jahren verbesserten Qualität der weißrussischen Universitätsausbildung auch deutsche Mediziner den Weg nach Weißrussland finden mögen, um sich auf wissenschaftlichem Gebiet in den unterschiedlichen Fachrichtungen auszutauschen. Beide Seiten erklärten übereinstimmend, die gute Zusammenarbeit, die seit dem Jahr 2012 auch vertraglich geregelt ist, engagiert fortzusetzen.
Weitere offizielle Gespräche
Weitere Gespräche wurden mit Dr. Alexander Shamal geführt, der als Vorsitzender der regionalen Gewerkschaftsorganisation die Interessen von 40.000 Mitarbeitern im Gesundheitswesen vertritt. Mit Dr. Shamal begann vor 25 Jahren die Erfolgsgeschichte des Runden Tisches. Damals Chefarzt des Krankenhauses in Dzerzinsk, einer Kleinstadt rund 40 Kilometer südlich der Hauptstadt Minsk gelegen, knüpfte er den Kontakt zu Dr. Cord Manegold, seinerzeit Chefarzt im Holzmindener Krankenhaus. Aus diesen Begegnungen und den bis 1997 durchgeführten Hilfsgütertransporten nach Dzerzinsk entwickelten sich die bis heute durchgeführten medizinischen Praktika.
Die Entwicklung der Stadt Minsk, die sich den Kreis-Holzmindenern als europäische Metropole offenbarte, wurde eindrucksvoll von dem stellvertretenden Bürgermeister, Viktor Sirenko, dargestellt: Mit dem Aufbau einer Bürgergesellschaft, der Verbesserung des Gesundheitswesens, einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion (Bio), einer stetigen Entwicklung von Kunst und Kultur und des Tourismus sei man auf einem guten Weg. Sirenko sprach sich für einen stärkeren Austausch und weiteren Kontakten zwischen den Regionen aus.
Ebenso fand ein Gespräch mit Ludmila Erokhina aus Gomel statt, in welchem es um die Fortsetzung des seit 2012 in enger Kooperation mit der Georg-von-Langen-Schule Holzminden stattfindenden „Sprachstipendiums ging. Die weißrussischen Lehrerinnen und Lehrer sind stark an der Weiterführung des Projektes interessiert, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kam, dass an dem Gespräch auch drei Lehrerinnen und Lehrer, die in den vergangenen Jahren Gäste des Runden Tisches waren, teilgenommen haben.
Besuch der Freunde in Dzerzinsk
Ein besonderer Höhepunkt der Reise war der Besuch in Dzerzinsk, dem Ausgangspunkt der Hilfe und Unterstützung auf medizinischen, kulturellen und pädagogischen Gebiet. Der Empfang durch den Bürgermeister und dem Gouverneur des Minsker Gebietes, vergleichbar dem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes, Semjon Shapiro, war von einer großen Herzlichkeit geprägt. Semjon Shapiro erinnerte sich an seinen Besuch in Heinsen und Holzminden im Jahr 1989, als ein erster Jugendaustausch im Weserbergland durch Pastor Drosselmeyer initiiert wurde. Es wurden nicht nur persönliche Erinnerungen ausgetauscht, sondern auch aktuelle politische, wirtschaftliche, demografische und touristische Themen diskutiert. „Die Region und das Land befinden sich auf einem guten Weg, die Zusammenarbeit und wechselseitige Begegnungen müssen verstärkt werden“, so Shapiro.
Das 200-Betten-Krankenhaus in Dzerzinsk wurde vom Chefarzt vorgestellt. Die Fachabteilungen Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Intensivmedizin zeigten sich im Vergleich zu den vorangegangenen Besuchen verbessert, sind jedoch mit deutschen Standards noch nicht vergleichbar. Besonders hervorzuheben ist der Aufbau einer Dialyse-Station mit sechs Plätzen, die nicht nur fachliches Können, sondern auch hohes technisches Verständnis voraussetzt. Eine Zusammenkunft mit den Ärzten, die bis zum Jahr 2006 in Holzminden zu Gast waren, schloss sich an. Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen eines Treffens mit alten Freunden. In einem an der Autobahn Brest/Minsk gelegenen, neu gebauten Fünf-Sterne-Hotel, fünf Kilometer von Dzerzinsk entfernt, war die Wiedersehensfreude groß: Viktor Savik (mit erwachsener Tochter Natalia), Vladimir Tscharbin (Leiter der Kunstschule), Valerij Michalevich (ehemals Leiter des SOS-Kinderdorfes), Olga Noskewitsch (Dolmetscherin), Deutschlehrerin Tatjana Walachonovich, die Vertreter der Feuerwehr, Alexander Shilak, Walojda Tschernik und Dr. Shamal. Erinnerungen an die Besuche in Dzerzinsk und Holzminden, Anekdoten über gemeinsame Erlebnisse und die Bekräftigung der alten Freundschaften, machten diese Zusammenkunft zu einem herzlichen und emotionalen Ereignis.
Die weißrussischen Gastgeber ließen es sich neben den offiziellen Gesprächen nicht nehmen, die wirklich beeindruckende Entwicklung der Region und der Hauptstadt Minsk zu zeigen. Eine ausführliche Stadtführung durch die Hauptstadt machte die städtebauliche Entwicklung deutlich: Zahlreiche Neubauten von Wohnblöcken, Bürohäusern und groß angelegten Sportstätten, dem Bau der Metro und der umfassenden Sanierung und Neubau von Staatsgebäuden und Kirchen zeigten, dass sich das kleine Land im Aufbruch in eine neue Zeit befindet. Die Staatsführung ist auf dem Weg, das Land nach der Sowjetzeit einer eigenen Identität zuzuführen. In der Nachbarschaft von Minsk besuchten die Kreis-Holzmindener die Schlösser Mir und Neswitsch, beide dem Weltkulturerbe der UNESCO zugehörig. Mir stammt mit seinen gotischen, Renaissance- und Barockelementen aus dem 15. Jahrhundert, der Zeit der polnisch-litauischen Herrschaft. Neswitsch ist das seit dem 16. Jahrhundert über 400 Jahre lang vom litauisch-polnischen-weißrussischen-preußischen Geschlecht der Radziwills bewohnte Stammschloss. Dieses Beispiel einer osteuropäischen Verflechtung rundete das Programm ab.
Der kulturelle Höhepunkt war indes die Ballettaufführung von Tschaikowski´s „Schwanensee“ im „Nationalen Akademischen Großen Oper und Ballett Theater“, eines der größten Theater Europas und dem architektonischen Wahrzeichen von Minsk. Der Besuch des „Museums des Großen Vaterländischen Krieges“, eröffnet im Jahr 2014, hinterließ bei der Delegation zwiespältige Eindrücke.
Den Abschluss bildete ein Besuch in der Heimatstadt des im Holzmindener Krankenhaus tätigen Arztes, Kiryl Halavach, in Molodechno, nördlich von Minsk gelegen. Die Delegation wurde herzlich von den Eltern, Alla und Alexander Halavach in deren mitten in den Wäldern gelegenen Datscha empfangen und verbrachte interessante und fröhliche gemeinsame Stunden, bevor sie am folgenden Tag per Flugzeug nach Deutschland zurückkehrte.
Ein Fazit:
Nach 25 Jahren des Bestehens des Vereins „Runder Tisch Holzminden-Hilfe für Weißrussland e.V.“ war es ein „Muss“, alte Kontakte zu vertiefen und neue zu knüpfen. Das Land befindet sich im Aufbruch, sucht die eigene Identität, es wird „weißrussischer“. Auffallend und beeindruckend ist die städtebauliche Entwicklung, insbesondere in der Hauptstadt Minsk. Die Stadt ist absolut gepflegt und sauber und steht einer west-europäischen Metropole in nichts nach. Die offiziellen Gespräche waren von Höflichkeit, aber auch von wechselseitiger Wertschätzung, Dankbarkeit und auch Vertrauen geprägt. Es bleibt zu hoffen, dass die bestehenden Grenzen noch durchlässiger, den Menschen drüben noch mehr Freiheiten eingeräumt und ihnen damit auch größere Perspektiven geboten werden. „Veränderung beginnt in den Köpfen, die Weltanschauung hat sich geändert und die Jugend ist gefordert, die Reformen engagiert zu begleiten“, so formulierte es Gouverneur Semjon Shapiro.
Der Delegation gehörten an: Ingo Beuser, Inge Eder, Nadeshda Gaus, Kyril Halavach, Dr. Cord Manegold, David Riemer, Dietrich Vogel.